Gedicht des Monats APRIL 2010
Das
Gedicht des Monats soll anregen, laut
zu lesen und am besten auswendig zu lernen.
Jeden Monat stellen wir ein Gedicht vor, passend zur Jahreszeit oder
Ereignissen des Monats.
In diesem Monat
gibt's das Gedicht gar mit
Kommentar:
T.S. Elliot: aus "The Waste Land"
Deutsch von Norbert Hummelt
April ist der übelste Monat von allen, treibt
Flieder aus der toten Erde, mischt
Erinnerung mit Lust, schreckt
Spröde Wurzel auf mit Frühlingsregen.
Der Winter hat uns warm gehalten, hüllte
Das Land in vergeßlichen Schnee, fütterte
Ein wenig Leben durch mit eingeschrumpelten Knollen.
Der Sommer kam als Überraschung, über den Starnberger
See
Mit Regenschauer; wir flüchteten unter die Kolonnaden,
Die Sonne kam wieder, wir gingen weiter zum Hofgarten
Und tranken Kaffee und redeten eine Stunde.
Hier ist kein Wasser sondern nur Fels
Fels und kein Wasser und die sandige Straße
Die Straße windet sich hoch in die Berge
Die Felsgebirge ohne Wasser sind
Wäre hier Wasser könnten wir halten und trinken
Man kann in den Felsen nicht halten noch denken
...
Nicht einmal Stille ist in den Bergen
Nur trockner unfruchtbarer Donner ohne Regen
Nicht einmal Einsamkeit ist in den Bergen
Nur rote mürrische Gesichter höhnen und spotten
Aus Türen rissiger Lehmhäuser
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Kommentar:
1. Autor und Gedicht
Thomas Stearns Eliot (* 26. September 1888 in St.
Louis, Missouri, USA;
† 4. Januar 1965 in London) war ein englischsprachiger Lyriker,
Dramatiker und Kritiker, der als einer der bedeutendsten Vertreter der
literarischen Moderne gilt. Im Jahr 1948 wurde er mit dem
Literaturnobelpreis ausgezeichnet. 1927 erwarb er die britische
Staatsbürgerschaft
Seine Lyrik gilt als enigmatisch und zugleich als ein
Höhepunkt der westlichen Literaturgeschichte der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Das Versepos
The
Waste Land (Das wüste Land) erschien 1939 und
gilt als ein Hauptwerk.
Eliot betrachtete Literatur als Möglichkeit, in der
chaotischen Wirklichkeit eine Ordnung aufzudecken und damit direkten
Einfluss auf das individuelle Leben zu nehmen. Seine Denkweise war von
Buddhismus, antiker Philosophie und christlichem Mystizismus
beeinflusst. Er selbst übte einen starken Einfluss auf einige
bedeutende spätere Denkströmungen aus, darunter den
Existenzialismus.
"Das öde Land" ist eine zugleich ungeheuer vieldeutige und
vielsagende Versdichtung. Sie spricht über die
Umwälzungen eines neuen Jahrhunderts mitsamt den dadurch
verursachten Schrecken; sie schlug frische, ungekannte Töne
an; und sie besitzt jene geniale, magische Aussagekraft, durch die sich
ein Mixtum compositum aus subjektiven Empfindungen, beklemmenden
Szenen, Beobachtungen und erlesenen wie populären Zitaten
unmittelbar als große poetische Reflexion über die
Epoche darstellt.
Verschiedene Kritiker haben mir die Ehre angetan, das Gedicht als
Kritik an der Gegenwart zu interpretieren, und haben sogar eine
gehörige Portion Gesellschaftskritik hineingelesen.
Für mich war es nur das Ventil für einen privaten und
ganz belanglosen Grant gegen das Leben; es ist lediglich ein
Stück rhythmischer Quengelei. [Vorwort Faksimile-Ausgabe,
1971]
T. S. Eliot liebte solche mal ironischen, mal sarkastischen
Distanzierungen, wenn man ihm zu nah oder zu simpel auf den Leib
rückte. Trotzdem steckt darin ein Stück Wahrheit.
Denn tatsächlich stand am Anfang des Stücks
Weltliteratur, zu dem "The Waste Land" wurde, ein geballtes Quantum von
privatem Ungemach. Eliot litt an Kopfschmerzen,
Erschöpfungszuständen, Angst- und
Unruhegefühlen; er hatte Ärger mit der
Einkommensteuer, seine Frau krankte dauerhaft an Körper und
Seele; Freunde konstatierten ein "sehr trauriges und elendes Aussehen",
sein Arzt diagnostizierte eine nervöse Störung,
schließlich war sogar von Nervenzusammenbruch die Rede. Und
auch die allgemeine Lage ließ 1921 sehr zu wünschen
übrig. Eliots Biograph Peter Ackroyd berichtet:
Das Jahr, in dem Das wüste Land geschrieben wurde, war ein
Jahr schlimmster politischer und wirtschaftlicher Unzufriedenheit: Der
Nachkriegsboom war zusammengebrochen, es gab zwei Millionen
Arbeitslose, und das Wirtschaftschaos wurde noch durch die
Unentschlossenheit der Koalitionsregierung verschärft. Eliot
verachtete die Demokratie und mit starken Worten beschrieb er die Hass-
und Abscheugefühle, die die Zeitsituation in ihm erweckte.
Außerdem brachte der Sommer große Hitze und
regenlose Dürre, ganz zu schweigen von einer Grippe, die den
Mund austrocknete und mit bitterem Geschmack erfüllte.
"Diese Symptome stehen in auffälliger Übereinstimmung
mit dem Zustand und der Thematik des literarischen Projekts, mit dem
sich Eliot das ganze Jahr abmühte", schreibt Norbert Hummelt
im Nachwort zu seiner Neuübersetzung. Es ist wahr: Eliot
musste nicht weit gehen, um aus dem Krisengebiet seines privaten Lebens
auf den unwirtlichen Boden des 20. Jahrhunderts zu gelangen, das gerade
erst ein höchst brutales Gesicht gezeigt hatte. Der Erste
Weltkrieg, Umwälzungen und Revolutionen hatten das
Krisengefühl der Moderne zugespitzt. Und Eliot
persönlich erging es wie dem Jahrhundert: Noch war er jung und
doch schon von Katastrophen zermürbt. Es hat also einiges
für sich, wenn Norbert Hummelt "The Waste Land"
charakterisiert als "ein Hoheslied der Bitternis, mit trockener Kehle
verfasst".
So gesehen wird auch leicht begreiflich, warum in den
berühmten ersten Versen ausgerechnet der April, der ja das
Frühlingserwachen einleitet, so schlecht abschneidet. In
Eliots Augen war es eben ein böses Erwachen, das dieses neue
Jahrhundert seinen Zeitgenossen bescherte.
2. Quellenangaben
T. S. Eliot: Das öde Land. Englisch und
deutsch.
Übertragen und mit einem Nachwort versehen von Norbert
Hummelt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 71 Seiten, 16,80 Euro
Der Kommentar ist entlehnt dem Beitrag von Eberhard Falcke
aus
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/894008/
Biografische Information zu Eliot nach
http://de.wikipedia.org/wiki/T.S._Eliot
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