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Willkommen auf dem Blog der Bücherei Alstaden

Die Katholische öffentliche Bücherei St. Antonius



ist die einzige öffentliche Bücherei im Ortsteil Alstaden von Oberhausen (Rheinland) mit etwa 22000 Einwohnern.

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1. Juni 2010

Gedicht des Monats

Gedicht des Monats JUNI 2010

Das  Gedicht des Monats soll anregen, laut zu lesen und am besten auswendig zu lernen.
Jeden Monat stellen wir ein Gedicht vor, passend zur Jahreszeit oder Ereignissen des Monats.

Da afrikanische Lyrik für naturgemäß in mehrern Sprachen siedelt die Muttersprache des Dichters, eine englische oder französische Übersetzung oder literatursprachliche Form, die sich also der Sprachen der Kolonialherren bedient, und die Übersetzung ins Deutsche, geben wir hier auch den englischen Text des Gedichts. 
Zum Verständnis ist ein Kommentar beigefügt.


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Benin

Moru Yesufu-Giwa



Vorbei. Noch gestern
gekrönter Könige Paläste,
heut schläft ein Chaos lehm'ger Reste
im Abgrund.
Ohne Brandung.

Das ist Benin. Mächtig einst,
schöne rote Stadt;
mit alter Majestät gekrönt;
schön an den Abhang hingeehnt,
der Ruhm von Oguala.

Ich denke ihrer oft
und ihrer edlen Söhne Schar.
Sie stieg anmutig, wunderbar
in die bewölkte Höhe.
Benin in Glanz und Größe.

Vorbei. Noch gestern
gekrönter Könige Paläste
- heut schläft ein Chaos lehm'ger Reste
im Abgrund.
Ohne Brandung.

(Übersetzung von Janheinz Jahn, in: Schwarzer Orpheus, Fischer Bücherei 1960
nach: Palabras escitas en la arena por un inocente)

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Die englische Originalfassung lautet:

Once Fair City
Moru Yesufu-Giwa

'Tis done - but yesterday,
The palaces of crowned kings;
And now a chaos of hard clay:
Sleeping on the abyss.
Without a surge.

'Tis Benin, Oh! Benin - the might of yore,
A fair red City;
Crowned with ancient majesty:
Gracefully reclining,
Down the slopes o Oguola fame.

That City I oft remember,
With gallant sons all in array;
Rising in clouded majesty:
Such graceful grandeur clothed the City,
Of Benin - with radiant spendour.

'Tis done - but yesterday,
The palaces of crowned kings;
And now a chaos of hard clay:
Sleeping on the abyss,
Without a surge.

(aus: Isidore Okpewho, Once upon a kingdom. myth, hegemony, and identity, Indiana University Press 1998)


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Kommentar:

1.  Der Autor und sein Übersetzer

Moru Yesufu-Giwa wurde vor 1935 in Nigeria geboren. Mehr war nicht über den Autor zu ermitteln.
Seinem deutschen Übersetzer, der 1973 gestorbene Journalist und Afrika-Kenner Janheinz Jahn, kommt die Ehre zu, in der Bundesrepublik seit Ende der 1950er Jahre afrikanische Literatur und Lyrik durch Übersetzungen zugänglich gemacht zu haben.
1970 erhielt er den Übersetzerpreis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Seine seine „Geschichte der Neoafrikanischen Literatur" (1966) und „Die Neoafrikänische Literatur — Gesamtbibliographie von den Anfängen bis zur Gegenwart" (1965) sind Standardwerke der deutschsprachigen Afrikaliteratur.

2.  Das Gedicht

Historischer Hintergrund: Das historische Benin, von dem Yesufu-Giwa spricht, reichte über die Grenzen des heutigen afrikanischen Staates hinaus bis Nigeria. Es gilt als größtes der afrikanischen Königreich aus vorkolonialer Zeit. Seine Hauptstadt, die "City" (stets groß geschrieben, sic!) war Abomey, in der von 1645 bis 1892 nachweislich 12 Könige regierten. Das Königreich selbst gilt als viel älter. Vom Reichtum und der Kunstfertigkeit dieser Kultur zeugen heute Exponate in den Völkerkundemuseen der Welt (z.B. Berlin).
Der erwähnte Oguala war fünfter König in Benin. Nach der Wiedererrichtung des Königreichs um 1170 regierte er um 1280 herum. Unter ihm soll die Kunst der Bronzebearbeitung entwickelt worden sein, die zu einer Hochblüte der alten Benin-Kultur führte.
Der Autor gehört zu einer Generation, die das Verschwinden der alten Hochkultur noch deutlich verspürt haben. Das seiner vermutlich westlich geprägten Erziehung gemäß elegisch gefärbte Gedicht ist  ein gutes Beispiel, wie Erinnerung an nationales Erbe in einer von den Kolonialherren übernommenen Form funktioniert.
Die "rote Stadt" deutet auf das auch heute noch verwendete Baumaterial, den rötlichen Lehm der Region.

Form: Umrahmt von der fast identischen Anfangs- und Schlussstrophe sind zwei gleich lange Strophen. In allen vieren ist das "T" der Anlaut, die Wiederholung und Statuarik der Verse deutlich im Zeigefinger-Gestus einer Beschreibung gehalen. Mit der Beschreibung von Größe und Glanz als vergangenem, die vom lyrischen Ich betrauert werden, reiht sich das Gedicht in die Form einer Elegie ein.
Die Reimform ist dem deutschen Übersetzer zuschulden. Das englische Original wirkt frischer und weniger geziert.

Deutung: Der Ruhm Benins kann sich messen an dem sämtlicher Hochkulturen. Der lyrische Sprecher (das "ich" im Gedicht) ist Zeuge dafür. Einerseits kennt er seine Heimat, das alte Benin. Andererseits versteht er in der westlichen Sprache und den westlich geprägten Literaturformen sich auszudrücken und kann daher den Kulturbegriff, wie er als abendländisch geprägter auch in Afrika Geltung erlangt hat, auf die eigene Geschichte anwenden. Dazu gehört auch der trauernde, elegische Tonfall. Wir haben es ja mit einem Ruinengedicht zu tun.
Der heutigen Stadt Abomey (Hauptstadt Benins, des früheren Königreichs Dahomey) kann der Autor keine Schönheit entlocken, die nicht die des Vergangenen ist. "Ein Haufen Lehm", das Chaos der afrikanischen Städte mit Abfall, Wildwuchs an primitiven Hütten und Häusern. Mit der Erwähnung der "bewölkten Höhe" wird zudem die Assoziation an den Turm von Babel aufgerufen und das vergangene Benin erscheint gar an der eigenen Überheblichkeit zugrunde gegangen. Dieser Selbstvorwurf ist späteren afrikanischen Dichtern suspekt und fremd geworden.


Helmut Krebs, M.A.




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