Seiten

Willkommen auf dem Blog der Bücherei Alstaden

Die Katholische öffentliche Bücherei St. Antonius



ist die einzige öffentliche Bücherei im Ortsteil Alstaden von Oberhausen (Rheinland) mit etwa 22000 Einwohnern.

Wir geben hier Informationen zu unserer Bücherei, Termine und Buchtipps bekannt.

Zum Lesen der einzelnen Beiträge klicken Sie bitte im INHALT in der linken Spalte.

Wir freuen uns über Ihr Interesse und hoffen, Sie bald in unserer Bücherei begrüßen zu können.

1. Mai 2010

Gedichte des Monats

Gedicht des Monats MAI 2010

Das  Gedicht des Monats soll anregen, laut zu lesen und am besten auswendig zu lernen.
Jeden Monat stellen wir ein Gedicht vor, passend zur Jahreszeit oder Ereignissen des Monats.

In diesem Monat gibt's gleich zwei Gedichte und gar mit Kommentar:


      ____________________________________________________

Mailied
Clemens Brentano

Im Maien im Maien ists lieblich und schön,
Da finden sich viel Kurzweil und Wonn';
Frau Nachtigall singet,
Die Lerche sich schwinget
Über Berg und über Thal.

Die Pforten der Erde, die schließen sich auf,
Und lassen so manches Blümlein herauf,
Als Lilien und Rosen,
Violen, Zeitlosen,
Cypressen und auch Nägelein.

In solchen wohlriechenden Blümlein zart,
Spazieret eine Jungfrau von edeler Art;
Sie windet und bindet,
Gar zierlich und fein,
Ihrem Herzallerliebsten ein Kränzelein.

Da herzt man, da scherzt man, da freuet man sich,
Da singt man, da springt man, da ist man fröhlich;
Da klaget ein Liebchen
Dem andern sein' Noth,
Da küßt man so manches Mündlein roth.

Ach Scheiden, ach Scheiden, du schneidendes Schwerdt,
Du hast mir mein junges frisch Herzlein verkehrt.
Wiederkommen macht,
Daß man Scheiden nicht acht't;
Ade, zu tausend guter Nacht.

Im Maien, im Maien, da freuet man sich,
Da singt man, da springt man, da ist man fröhlich,
Da kommet so manches
Liebchen zusammen;
Ade, in tausend Gottes Namen.

(aus: Des Knaben Wunderhorn)
  ____________________________________________________

Mailied
Johann Wolfgang von Goethe

Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch

Und Freud' und Wonne
Aus jeder Brust.
O Erd', o Sonne!
O Glück, o Lust!

O Lieb', o Liebe!
So golden schön,
Wie Morgenwolken
Auf jenen Höhn!

Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im Blütendampfe
Die volle Welt.

O Mädchen, Mädchen,
Wie lieb' ich dich!
Wie blickt dein Auge!
Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft,

Wie ich dich liebe
Mit warmem Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud' und Mut

Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst.
Sei ewig glücklich,
Wie du mich liebst!


Zum Anfang dieser Seite

Kommentar:

1.  Der Autor Brentano

Clemens Brentano ist Kind des Rheinlandes. Er wurde am 9. September 1778 in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren und wuchs in Frankfurt, Heidelberg und Mannheim zum  Mann heran. In seine Familie gehören berühmte Autorinnen wie Sophie von La Roche (die Großmutter) und seine Schwester Bettina, die Achim von Arnim heiratete.
Brentano, der in Göttingen Philosophie studierte, war sein Leben lang ein Verehrer der Jungfrau Maria, deren Namen er gern als sein Pseudonym benutzte und er auch öfter Mariä Geburt, also den 8. September als seinen Gebutstag angab.
Er heiratete die Schriftstellerin Sophie Mereau und zieht mit ihr 1804 nach Heidelberg. Hier entsteht die zusammen mit Achim von Arnim angelegte Sammlung von Volksliedern, gefasst in dichterische, eigene Worte "Des Knaben Wunderhorn".
Nach wechselnden Wohnorten, etwa Berlin, Frankfurt und München, stirbt Brentano am 28. Juli 1842 im Haus seines Bruders Christian, der den von Schwermut umfangenen aufgenommen hatte.
Zu Brentanos wichtigsten Werken gehört, neben "Des Knaben Wunderhorn" eine Reihe von Gedichten sowie die italienischen Märchen, unter denen Gockel, Hinkel und Gackeleia (1838) das bekannteste ist.

2.  Die Gedichte

BRENTANO - Das Erscheinen der wohl wichtigsten deutschen Volksliedsammlung künstlerischer Prägung, "Des Knaben Wunderhorn" (3 Bde. zwischen 1805 und 1808) gab Anlass zu einem Streit unter den Romantikern über "dichterische" oder "naiv, wahrhafte" Volksliedtexte. Während Achim von Arnim für eine Bearbeitung und poetische Anverwandlung des Volksliedes durch den Dichter eintrat, ergriffen etwa die Brüder Grimm für die rohere, "naive" Form des vorgefundenen Volksliedes Partei. In der Sammlung Brentanos finden sich in kaum unterscheidbaren Nuancen und Stimmungen beide Formen der Volksliedüberlieferung/bearbeitung.
Das sechsstrophige Mailied Brentanos beginnt mit den Tönen und Bewegungen der Vögel, tritt gewissermaßen durch die aufgeschlossenen Pforten der Erde unter die Blumen und begegnet dort der "Jungfrau edeler Art". Hier wendet sich das dichterische, volkstümliche Ich in ein allgemeines "man", dass dem Wonnemonat Mai mit Scherz und Küssen huldigt. Strophe 5 jedoch bringt eine Peripetie mit Erwähnen des "schneidenden Schwerts". Aus dem Vogel-Blumen-Liebesreigen muss geschieden sein. Das dichterische Ich tritt nun aus dem Volkston, aus dem unpersönlichen "man" heraus und bekennt sich als junges, aber bereits "verkehrtes" (i.S. verletztes, nicht mehr allein sich gehörendes) Herz. Die folgenden Verse gehören wohl zum Anrührendsten dieser Poesie:
"Wiederkommen macht,
Daß man Scheiden nicht acht't;
Ade, zu tausend guter Nacht."
Da weht bereits die spätromantische Todverhangenheit, zugleich die Verdammnis der Wiederholung heran. Um das bittere Scheiden (das Aus-der-Welt-Scheiden, dem der Abschied vom Mai vorausgeht) zu vergessen, geht es in die Wiederholung, ins Wiederkommen: Jedes neue Jahr bringt einen neuen Frühling ... Und noch das "Gute Nacht" will tausendmal gesagt sein, weil der Mensch sich nicht scheiden mag vom Tag, vom Leben.
Als Resümee dieser Empfindungen tritt die Schlussstrophe an, kehrt in das unpersönliche "man" zurück und erinnert noch einmal an die Liebesverbindungen der Menschen.

GOETHE - Goethes strenger formorientiertes, neunstrophiges Mailied, 1771 entstanden, ist ein scheinbar ungetrübtes, ganz der Wonnekraft des Monats hingegebenes Liebeslied. Man beachte allein die Reimpaare, in deren Mitte das "dich-mich" steht:
Wonne - Sonne, schön - Höhn, Feld - Welt,
dich - mich,
Luft - Duft, Blut - Mut, gibst - liebst
Auch Goethe beginnt mit der Natur - aber sogleich als Anruf, wo Brentanos Lied eher beschreibend vorgeht. Das Rufen ist weiterhin der vorherrschende Redegestus bei Goethe (acht Ausrufezeichen!). Die Lerche ist beiden Dichtern ein Maienvogel. Für Brentano nimmt sie aber eine eher konventionelle Rolle ein, während sie bei Goethe das dichterische Ich spiegelt, liebt "wie ich dich liebe". In dieser stark Sturm-und-Drang geprägten Poesie ist eben alle Natur Ausdruck des Ich, des dichterischen Subjekts und seiner subjektiven Gefühle. Die Angebete bleibt gesichts- und namenlos, ja erscheint eher als Anlass der Wonnebeglückung des Dichters als einer realen Situation, wie noch dem Maientanz und Küssen bei Brentano, gemäß. So endet Goethe auch mit dem Anruf dieser Muse, die ewig glücklich sei, "wie du mich liebst". Hier herrscht also ein ungebrochener Morgen ("Morgenwolken, Morgenblumen"), "die volle Welt" und das dichterische Ich als ihr Mittelpunkt. Kein Erinnern ans Scheiden, oder gar Andeutung von Lebensabschied wie bei Brentano.

So stehen sich in den beiden Mailiedern zwei sehr unterschiedliche Charaktere gegenüber: ein religiös geprägter Dichter, dessen Wissen um die Transzendenz des Lebens hin auf den "Gottes Namen" (letzte Worte des Brentanoschen Mailieds) die Betrachung des Maientreibens durchzieht, und ein sich weltlich gebender, jubelnd den Höhenflug eines liebenden Subjekts genießender Dichter.
Letzterer ist freilich nicht so ganz immanent, wie die sich übersteigernde Form und Reihung der Nomina anzeigt. Brentano aber ist dann auch nicht so vollkommen losgelöst, als er nicht die Wiederkehr des Mai, das Schicksal des Liebens und Scheidens auskosten würde.

Helmut Krebs, M.A.




Zum Anfang dieser Seite
 






Keine Kommentare: